Mediation kann etwas, was andere Verfahren der Konflikregelung nicht können...
Wir werden bekanntlich mit allerlei fertig. Aber wir empören uns sicher, wenn unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit angetastet werden. Wenn wir prüfen, ob es gerecht zugeht, setzen wir uns in Beziehung zu anderen. Ein paar Beispiele: Er arbeitet genauso wie ich arbeite - weshalb verdient er mehr? Oder: Es sind auch meine Kinder - wieso darf ich sie nicht sehen? Oder: Weshalb erhalte ich eine Mahnung - die anderen machen es doch genau so? Es gäbe vieles zu nennen. Gerechtigkeit beinhaltet eine Bewertung der eigenen Situation im Vergleich zur Situation anderer.
Ungerechtigkeit trifft uns tief, weil sie unseren Selbstwert angreift. Unter all den Menschen, von denen keiner schlechter oder besser ist als ich, soll es gerade mir so gehen? Ungerechtigkeit ruft in uns vielfältige Erfahrungen der Benachteiligung wach. Wir fühlen uns herausgefordert zu verteidigen, was uns wichtig ist. Warum gerade ich - oder er - oder sie?
In vielen Streitfällen und Konflikten geht es um solche Fragen. Wir wollen, dass es gerecht zugeht - zumindest, wenn es um uns und Menschen geht, denen wir uns nahe fühlen. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit werden zuerst als ganz persönliches Problem erlebt. Manchmal sagen wir zueinander: "Da irrst du dich. Du fühlst dich ungerecht behandelt. So ist es gar nicht." Das ist vergebliche Mühe und oft ein Gewaltakt. Der so Angeredete fühlt sich doppelt ungerecht behandelt, denn sein persönlicher Anspruch wird wieder einmal nicht ernst genommen.
Gerichte, so wichtig sie sind, urteilen nach abstrakten Rechtsvorstellungen. Diese werden an die persönlichen Konflikte angelegt. Der Streitfall wird am Rechtsmaßstab gemessen. Die Messung ergibt: Du hast Recht und du nicht. Der Fall wird objektiviert und so von den sehr persönlichen Gerechtigkeitsgefühlen abgetrennt. So kann es geschehen, dass trotz gelingender Rechtsprechung einer sich sagt: "Ich habe Recht und dennoch fühle ich mich nicht wohl. Es ist schlimm ausgegangen für Sie." Die andere hingegen meint: "Wie ungerecht das ist. Er hat Recht bekommen und was wird nun aus mir?" Obwohl Recht da ist, um Gerechtigkeit herzustellen, kann das tiefe Gefühl von Ungerechtigkeit bleiben und bohren.
Jede gelingende Konfliktlösung muss Gerechtigkeit herstellen. Das ist nicht einfach. Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst die keiner kann, sagt der Volksmund. Wie allen Sprichwörtern wohnt auch diesem eine Wahrheit inne und es irrt zugleich. Es stimmt, es gibt keinen, der für alle Gerechtigkeit schaffen kann. Aber es ist möglich, alle Beteiligten miteinander an einer gerechten Lösung arbeiten zu lassen. Denn wir Menschen wissen selbst am besten, was uns wichtig ist und worauf es uns ankommt.
Dies ist das Geheimnis der Mediation und ihr unübertroffener Vorteil. Das Mediationsverfahren nimmt den Menschen die Verantwortung zur Herstellung von Gerechtigkeit nicht aus der Hand. Vielmehr regt es die Beteiligten dazu an, einander über das, was sie für gerecht halten, Auskunft zu geben. Weil alle gleichberechtigt beteiligt sind, ist Mediation bereits als Verfahren gerecht. Das es das ist, dafür hat der Mediator zu sorgen. Der ist kein Richter, sondern ein Geburtshelfer für eine gute Lösung.
Die Konfliktpartner erarbeiten unter der Moderation des Mediators, der keine eigenen Interessen vertritt außer einem sauberen und fairen Verfahren, diese Lösung. In ihr finden sich die Wünsche und Ansprüche aller Beteiligten aufgehoben. Mediation ist die Kunst der Gerechtigkeit. An Stelle des Kampfes um den größten Brocken tritt die gemeinsame Suche nach einer Lösung, von der alle etwas haben. Mediation erzeugt bei ehrlicher und offener Beteiligung ein gutes Ergebnis. Das Ergebnis ist gut, wenn die Beteiligten zufrieden sagen: Das finden wir gerecht, zu dieser Lösung stehen wir.
Der Autor Stefan Kratsch ist als freiberuflicher Mediator in Erfurt tätig.